Gittes Bar

Wanderer, kommst du nach T.

Geh nur vorbei an Schlecker, Spar und Edeka,

such nach dem Wandbild mit der Orchidee

in einem Sektglas - das ist Gittes Bar.

 

Die Wahrheit aber ist : es läuft nicht mehr so toll

Woanders sind die Läden voll, denkt Gitte,

warum nicht bei mir?

schreibt auf die Scheibe: Heute Cocktail-Show

Weil niemand weiß, was das bedeuten soll

und die paar Nüsschen und das bisschen Bier

zum guten Leben niemals reichen kann

führt sie das kleine Kiosk nebenan

und wenn die Schüler kommen, heißgelaufen,

aus den Geigenkursen, vom Kung Fu

und fragen: Zigaretten einzeln kaufen?

sagt Gitte: Nein  - und macht das Fenster zu,

steht hinter Panzerglas und hört ihr Schnaufen.

Wer dürfte herrschen, Gitte, wenn nicht du?

 

Gitte, wäre deine Bar ein Bild -

vielleicht, wo Mohn und Gänsefuß so wild

vor Backsteinmauern wuchern - bloß Graffiti

(zehntausend Meilen vom Palazzo Pitti)

mit Blick aufs Gleisbett einer kleinen Stadt,

in der die Eisenbahn nicht hält

und nie gehalten hat.

 

Und Gitte, wäre deine Bar Musik -

ein bisschen Heilsarmee und etwas Grieg,

vielleicht ein Heulen. Wimmern. Letzter Volksgesang

auf beigen Alben, die im Plattenschrank

der Bücherei verdämmern, unverliehen

und das Kassendeck spielt Diskofunk

mit halbverbrauchten Batterien.

 

Die tote Schlager-Combo auf der Kellertreppe

die einen Ton hält, der sich noch im kleinsten Ohr

so süß versenkt, verfängt. Und etwas Schleppendes

von Bohren und der Club of Gore.

 

Hier war dein Tempel. Hier war Tanz und Neonlicht.

Hier war der Saal. Die Säule in der Mitte

enthielt verspiegelt eine ganze Welt - und Gitte:

Die Cocktailshow war ein Gedicht.